Interview mit Helder Suffenplan

Wie sehr beschäftigen wir uns eigentlich mit den Düften, die uns umgeben? Viel zu wenig, findet auch Helder Suffenplan. Dabei sind es Gerüche, die bei uns am stärksten Erinnerungen und Emotionen auslösen – auch unbewusst.

Helder studierte Kunstgeschichte und Design bevor er 2006 in Berlin 20first gründete, ein Büro für Kreativdirektion und Markenberatung. Vor einem Jahr launchte er nun die Website Scentury. Ein wahres Herzensprojekt, ganz ohne kommerziellen Nutzen. Kreative aus der ganzen Welt testen dort blind ein Parfüm und erzählen komplett unvoreingenommen von ihren Empfindungen zu dem Duft.

Ich traf Helder im Berliner Soho House, um mit ihm über die Wirkung von Duft, die interessantesten neuen Nischenparfüms und ausgefallene Inhaltsstoffe zu reden.

 

Wie bist du auf die Idee für Scentury gekommen?

Scentury ist für mich ein Showcase, wie man über Parfüm und Duft generell sprechen kann. Und darüber, welche Empfindungen Duft auslöst. Ich hab mich schon immer sehr für Parfüm interessiert. Gar nicht, dass ich jetzt ständig neue Parfüms gekauft habe. Ich wollte wissen, wie Parfüm gemacht wird, was für ein kultureller und sozialer Hintergrund involviert ist. Oder warum sich der Geschmack ständig verändert. Düfte für Frauen waren in den 80ern sehr massiv und powerful. In den 90ern wurde dann plötzlich alles sehr leicht, unisex und clean. In den 80ern lag das meiner Meinung nach auch daran, dass Frauen in den Beruf gegangen sind, erfolgreich waren und intensive Parfüms auftrugen, um wahrgenommen zu werden und mehr Raum einzunehmen – derselbe Effekt, den auch die großen Schulterpolster haben sollten.

 

Ich denke da besonders an Opium.

Genau, und dazu großen Schmuck und big hair, wie eine Rüstung. Das war dann irgendwann nicht mehr nötig. Solche Sachen haben mich immer interessiert.

 

Gab es mal ganz verrückte Assoziationen zu einem Duft?

Der Modedesigner Vladimir Karaleev fand, dass das Parfüm roch, wie ein Paar toller Schuhe, das man gerade geliefert bekommen hat – nach Leder und Kunststoff. Und ich konnte das sogar nachvollziehen. Obwohl die Geschichte von dem Parfüm eigentlich war, dass es nach Garten, Blüten und Kräutern riechen sollte.

 

Würdest du dir wünschen, dass man durch Scentury Duft bewusster wahrnimmt?

Ja, ich glaube, dass diese Assoziationen sowieso im Kopf stattfinden, aber meistens nimmt man sich keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Und man erfährt natürlich auch viel über die Leute, die wir interviewen. Durch den Duft erzählen sie ein bisschen aus ihrer Welt, von ihrer Kindheit, ihrer Arbeit. Das sind Sachen, die man durch Fragen eigentlich kaum rausbekommen würde.

 

Ja, das hat etwas sehr Psychologisches.

Auf jeden Fall. Wenn ich Psychotherapeut wäre, würde ich statt mit dem Rohrschachttest,  – der mit den Tintenklecksen – bestimmt mit Duft arbeiten, weil die Menschen da sofort anfangen, innere Bilder zu teilen.

 

Wie wirst du auf neue Parfüms aufmerksam?

Ich bekomme mittlerweile sehr viel zugeschickt. Ansonsten fahre ich auch zu den Messen nach Mailand, Florenz oder New York. Es geht mir aber nicht nur um neue Düfte, sondern ich finde es eben auch sehr spannend zu schauen, was man in den 70ern und 80ern getragen hat. Da gibt es Parfüms, die auch heute noch total beeindruckend und gut tragbar sind.

 

Nach welchen Kriterien suchst du die Parfüms aus, die ihr testen lasst?

Alle, über die wir berichten, finde ich auf irgendeine gewisse Weise gut. Das heißt nicht zwingend, dass ich sie selbst tragen würde. Ich finde, dass sie gut gemacht sind und etwas Spannendes erzählen. Es ist nicht wichtig, ob das ein teurer oder günstiger Duft ist oder ein Nischenparfüm oder eher Mainstream. Obwohl, zugegebener Maßen, die meisten Düfte schon Nischenprodukte sind, weil da einfach nach wie vor mehr Innovation stattfindet.

Aber ich bin jetzt gar nicht gegen Mainstream-Düfte von Chanel, Yves Saint Laurent oder Dior. Die haben sensationelle Klassiker und auch neuere Düfte auf sehr hohem Niveau. Und sowohl Dior als auch Chanel haben exklusive Linien, die es nicht bei Douglas gibt, aber in ihren eigenen Läden, zum Beispiel am Ku’damm. Und die sind sehr gut, eben etwas kantiger oder spezieller.

 

Welche Nischenmarke findest du gerade besonders innovativ?

Zum Beispiel eine Marke aus Italien, Nu_Be. Die beschäftigen sich sehr mit den chemischen Elementen, und ihre Herangehensweise ist sehr modern.

Wer auf jeden Fall auch sehr innovativ ist, ist Alessandro Gualtieri. Das ist ein italienischer Parfümeur, der in Amsterdam lebt. Er hat die Marke Nasomatto gegründet und in den letzten Jahren zehn Düfte für sie herausgebracht. Jetzt hat er seine neue Marke Orto Parisi gestartet. Er ist jemand, der gerne Grenzen austestet und schaut, wie er die Leute überraschen und auch ein bisschen schockieren kann.

 

Mit welchen Inhaltsstoffen zum Beispiel? Was war da das Ausgefallenste?

Von Orto Parisi gibt es bisher fünf Düfte und einige enthalten zum Beispiel Kuhdung, Pferdeurin…

 

Oh Mann...

Also Dinge, die man normalerweise nicht mit Parfüm in Verbindung bringt. Interessanter Weise hat das aber Tradition. In der klassischen Parfümerie sind neben den schönen Dingen, wie Blüten oder Hölzern auch immer Sachen enthalten, die eigentlich scheußlich sind, wie zum Beispiel Zibet aus der Drüse der Zibetkatze oder Moschus vom Moschusochsen. Beides wird heute aber chemisch nachgestellt. Es muss also kein Tier mehr dafür sterben.

 

Ich glaube gerade bei Moschus vermuten das die wenigsten…

Ja genau, klingt schöner, als es ist. Und dann gibt es noch Ambergris oder Amber, was dann im Parfüm sehr schön riecht. Das ist eigentlich Walkotze. Die wird an Land gespült, und ist dann wahnsinnig teuer, weil das eben nicht so oft passiert. Solche Inhaltsstoffe sind aber wichtig, um dem Ganzen etwas Körperliches, leicht Dreckiges, zu geben. Im Endeffekt ist es dann halt das, was ein Parfüm auch sexy macht. Von daher knüpft Alessandro Gualtieri schon an Tradition an, aber auf eine neue Art und Weise.

 

Hast du hier in Berlin einen Lieblingsparfümladen?

Ein sehr guter hier ist Belle Rebelle in der Bleibtreustraße. Das ist ein Laden, der eine tolle Auswahl hat, sehr gut berät und auch immer mal wieder Veranstaltungen macht,  zu denen dann Parfümeure oder die Macher einer Marke vorbeikommen.

 

Gibt es jemanden, den du in nächster Zeit besonders gern interviewen würdest?

Es gibt ganz viele, die ich super gern mal interviewen würde. Ich würde wahnsinnig gern Jil Sander befragen. Toll fänd ich auch David Hockney. Und den Architekten Tadao Ando.

 

Gibt es eine Person, von der du gern wissen würdest, was sie für ein Parfüm trägt?

Ja, ich finde das immer spannend zu erfahren, weil das ja auch immer eine Entscheidung ist, ähnlich wie Mode oder die Frisur, ein Statement. Gleichzeitig habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich viele Leute mit ihrem Parfüm gar nicht so beschäftigen, obwohl sie sich mit Mode gut auskennen. Bei Jil Sander könnte ich mir vorstellen, dass sie wirklich ihre eigenen Düfte trägt, weil ich weiß, dass sie bei der Entwicklung sehr involviert war. Bei Lars von Trier fänd ich es interessant zu wissen. Oder bei Haider Ackermann, der ja selbst noch kein Parfüm rausgebracht hat.

 

Was ist dein Lieblingsparfüm?

Etwas, das ich nach wie vor sehr gern trage ist Vetiver von Guerlain, ein Klassiker, der aber heute leider nicht mehr ganz so toll riecht wie früher, weil er ein bisschen verändert wurde. Das ist einer der ersten Düfte, die ich getragen habe und deshalb verbinde ich damit viele Erinnerungen. Im Moment trage ich viel L’Orpheline von Serge Lutens, ein kühler Weihrauch-Duft, was eigentlich ein Paradox ist. Und Iris Nazarena von Aedes de Venustas, das enthält sehr viel Iris-Wurzel und die Haut riecht wie nach einem Tag draußen in Wind und Sonne.

 

Bleibst du bei einem Duft oder wechselst du?

Es gibt so zwei, drei, die immer da sind. Dann kommen aber auch noch andere dazu. Im Moment trage ich einen Duft von Boss viel. Boss ist eigentlich eine totale Mainstream-Marke, die bei uns überhaupt nicht stattfindet. Aber es gibt den allerersten Duft von Boss, der heißt Boss Number One. Das ist ein ganz tolles Parfüm, das ich jetzt neu entdeckt habe. Es ist von 1985. Man bekommt es super günstig im Duty Free Shop und es ist extrem gut und ungewöhnlich – Es gibt nichts anderes, was genauso riecht. Über solche Sachen freu ich mich dann immer, weil man selber überrascht ist.

 

Du achtest wahrscheinlich sehr stark darauf, wie jemand riecht. Wie stark beeinflusst dich der Duft?

Ich finde es generell gut, wenn jemand nicht zu intensiv nach einem Duft riecht, weil ich das sehr aufdringlich finde. Dann überdeckt das auch ein bisschen die Persönlichkeit. Es gibt schon ein paar Düfte, die mich da zuerst negativ beeinflussen. Das sind besonders die Erfolgsdüfte aus den 90ern. Wenn das jemand zu seiner Konfirmation bekommen hat und jetzt als Überdreißigjähriger immer noch trägt, ohne darüber nachzudenken… Das spricht dann nicht gerade für einen sehr spannenden Charakter – im ersten Moment zumindest.

 

Es ist ja auch schwer, den richtigen Duft für sich zu finden. Hast du da ein paar Tipps?

Es ist wirklich schwer. Über Parfüm wird sehr wenig gesprochen und daher sind viele Leute auch so unsicher. Das Beste wäre auf jeden Fall, sich beraten zu lassen. Einfach viele Sachen riechen und sich erklären lassen, was die Unterschiede sind, um mal ein bisschen sensibilisiert zu werden. Und ruhig ein Parfüm ein paar Tage ausprobieren und sich dann erst entscheiden. Viele von den Mainstream-Düften sind so aufgebaut, dass sie schon im ersten Moment überwältigend toll sind. Die Leute haben ja gar nicht mehr die Zeit dazu abzuwarten, wie sich ein Duft entwickelt und entscheiden sich innerhalb weniger Minuten.

 

Hast du einen Lieblingsduft abgesehen von Parfüm?

Was ich ganz toll finde, sind Frangipaniblüten. Das ist ein Baum, den es eigentlich überall in Asien gibt. Das Tolle daran ist, dass es so viele Sorten gibt, die fast alle gleich aussehen, nur die Blüten sind etwas andersfarbig. Das find ich so spannend, man kann zu jedem Baum hingehen, und jedes Mal riecht es ein bisschen anders. Ansonsten bin ich sehr gern im Wald – zu jeder Jahreszeit.

 

Scentury gibt es jetzt seit einem Jahr. Gibt es eine Story, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ja, ich hab gerade Kilian Hennessy interviewt. Der hat vor fünf Jahren eine Marke lanciert, die heißt By Kilian. Sein Großvater hat das Imperium Louis Vuitton Moët Hennessy gegründet. Er kommt also aus einer sehr business-orientierten Familie. Ich fand es sehr beeindruckend, dass er so komplett hinter dieser erfolgreichen, aber kleinen Marke steht und damit innerhalb der Familie zum Exot wurde. Sonst gibt es einige Interviews mit Kreativen, an die ich oft denke. Das eine war mit Michael Sontag.

 

Da fand ich das Shooting so schön, mit der blauen Farbe an den Handgelenken, eine tolle Idee.

Ja, das war super. Das hatte ich mir gemeinsam mit dem Fotografen Per Zennström überlegt. Ich fand interessant, was er über seine Mode und seine Inspirationsquellen gesagt hat. Aber eben auch, über seine Kindheit. Wie er in einem kleinen Bauernhaus aufgewachsen ist, auf dem Land und wie es dort gerochen hat.

 

Gibt es Pläne für die Zukunft?

Wir haben da einige Ideen im Kopf. Das geht von Buch über Ausstellungen, wo wir mit Künstlern kooperieren, bis dahin Parfüm auch im Medium Film darzustellen und umzusetzen. Und dann wird es Anfang nächsten Jahres eine Mini Kollektion von Produkten geben, die nicht selber duften, aber etwas mit Parfüm zu tun haben.