Interview mit Steven Kohlstock

Der Fotograf stellt in der Ausstellung „Corpus Delicti“ aktuell das Konzept von feminin und maskulin in Frage.

Manchmal brauchen wir einen Umweg, um zu erkennen, dass unsere erste Wahl die richtige war. Nachdem Steven Kohlstock bereits in Barcelona eineinhalb Jahre seiner Leidenschaft als Fotograf nachging, entschied er sich für ein Fotografie-Studium am Berliner Lette-Verein, um im Anschluss Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin zu studieren. Der Plan: In Museen arbeiten und Ausstellungen kuratieren und organisieren. Doch es war seine Arbeit in der Helmut Newton Foundation während seines Kunstgeschichte-Studiums und die intensive Auseinandersetzung dort mit Newtons Werk, die ihn erkennen lies, dass er genau das auch wollte – ausschließlich fotografieren. 

Das war vor fünf Jahren und nach wie vor ist Steven sehr glücklich mit seiner Entscheidung, wie er mir erzählt. Der 36-Jährige konzentriert sich auf Portrait und Modefotografie. Seine Bilder wirken dabei oft wie wenig inszenierte Momentaufnahmen – realistisch und doch einfühlsam. Unter anderem hat er schon für Vogue Italia, L’Uomo Vogue, Vogue.com, Vogue Spain, Casa Vogue Italia, Harper’s Bazaar Spain, Vice Germany, Kaltblut Magazine, Spex und Die Welt gearbeitet. 

In der aktuellen Ausstellung „Corpus Delicti – Drei zeitgenössische Statements zur Aktfotografie und Körperinszenierung“ in der Galerie The Ballery in Berlin-Schöneberg sind von Steven nun Aktfotografien aus freien Projekten zu sehen. Modell standen befreundete Künstler und Tänzer wie der Balletttänzer Lucio Vidal vom Staatsballett.

Zusammen mit der Fotografin Sonia Szóstak, die ich bereits vor vier Jahren zur ihrer ersten Ausstellung in Berlin traf, sowie dem Fotografen, Model und Blogger Simon Lohmeyer zeigt die Ausstellung, wie junge, aufstrebende Künstler heute den nackten, oder fast nackten, Körper in der Fotografie inszenieren.

Ich traf Steven am Tag der Vernissage bei The Ballery, um mit ihm über den Einfluss seines Kunstgeschichte-Studiums auf seine Bilder, die Darstellung von Männern als Männer und ein gutes Körpergefühl zu reden.

„Corpus Delicti“ ist noch bis zum 30. November 2018 in der Galerie The Ballery in der Nollendorfstr. 11-12 in Berlin-Schöneberg zu sehen.

 

Wohnst Du gerade in Berlin?

Ja, im Moment noch, aber ich plane schon nächstes Jahr nach Paris zu gehen.

 

Warum Paris?

Weil es da einfach mehr Möglichkeiten gibt und ich da auch schon für ein paar Monate gewohnt hab. Und das ist einfach ein anderes Level da, wenn du wirklich im Modebereich arbeiten möchtest. Alles muss einfach das Beste sein. Das finde ich sehr inspirierend. Das hat man hier in Berlin nicht so. Hier ist alles sehr schön frei. Aber es geht auch nicht nur um die Arbeit, ich liebe Paris einfach auch. Ich hab da viele Freunde, ich finde es ist eine tolle Stadt und es macht einfach Spaß da zu sein.

 

Reist Du viel?

Also die letzten acht Monate war ich die ganze Zeit unterwegs. Da war ich gar nicht in Berlin. Ich hab immer mal einen Monat woanders gewohnt in Europa, einfach um mein Netzwerk zu erweitern, bestehende Kontakte wieder aufzufrischen. Jetzt bin ich im Sommer zurückgekommen und eigentlich auch ganz glücklich hier zu sein. 

 
Cover Jannis Niewöhner for L'Uomo Vogue | © Steven Kohlstock

Cover Jannis Niewöhner for L'Uomo Vogue | © Steven Kohlstock

 

Inwiefern beeinflusst Dein Kunstgeschichtestudium Deine Arbeit? 

Wenn ich mir meine alten Sachen angucke, haben die schon etwas Malerisches. Das Licht, das ich da gesetzt hab, sieht auch immer ein bisschen aus wie ein Portraitlicht aus einem Gemälde. Oder ich hab Dinge verwendet wie die Pietà, Maria, die ihren Jesus tot in den Armen hält. Ich weiß gar nicht, wie bewusst das ist, aber das kommt dann halt vor. Was ich nach wie vor auch super interessant finde, sind historische Kostüme oder Haare aus der Renaissance oder dem Rokoko, und das dann mit unserer heutigen Zeit zu kombinieren.

 

Woher nimmst Du Deine Ideen heute für Shootings? Auf Deiner Website wirkt auch vieles spontan.

Man muss spontan bleiben, ja. Es ist ganz komisch, es startet ganz unterschiedlich. Manchmal siehst du eine Kollektion von einem Designer und du hast dann eine Idee dazu oder du siehst ein Model und das erinnert dich an eine bestimmte Sache. Eine Quelle für mich sind auf jeden Fall Filme. Von denen lass ich mich oft beeinflussen.

 

Von welchen genau?

Jetzt zum Beispiel hatte ich eine Idee für Nouvelle Vague und ein Shooting, das dann auch hoffentlich nächsten Monat in Paris umgesetzt wird. Man sieht ein Bild von irgendeiner Schauspielerin oder einem Schauspieler aus den 60ern oder 50ern und das gibt dir dann schon wieder eine Richtung für die Haare und die Bildsprache.

 

Wie gehst Du bei Shootings vor? Du fotografierst ja auch sehr viel Akt, wobei eine entspannte Atmosphäre besonders wichtig ist.

Ich glaube es ist im Vorfeld schon wichtig, wen man fotografiert. Ich habe diese Jungs [in den Bildern der Ausstellung] ja auch mit Absicht ausgewählt, weil man schon auf ihren Instagram-Profilen sieht, wie offen sie mit dieser Thematik umgehen. Egal ob man jetzt einen Politiker im Anzug fotografiert oder jemanden nackt, du brauchst eine Connection und die Leute müssen sich wohlfühlen. Wenn das nicht ist, dann verlierst du sie. Und ich verlang ja dann auch relativ viel. Bei dem einen Shooting in Madrid waren es 40 Grad und es ging zehn Stunden. Die Haut von jedem von uns war danach verbrannt. Aber du shootest halt so lange es geht. Du hast ein schönes Styling, ein gutes Model und dann holst du natürlich so viel wie möglich raus.

 

Was fasziniert Dich an Aktfotografie?

Mein Fokus sind ja schon Menschen, Gesichter und Körper. Also ich finde das am spannendsten. Körper und Gesichter – Ich werde einfach nicht müde, die zu fotografieren.

 

In ihrer puren Form.

Sowohl als auch. Ich versuch die Bilder auch oft mit Mode zu kombinieren, um das für mich auch ein bisschen spannender und sexyer zu machen. Das Bild [zeigt auf das Bild von Model und Performer Pato, der nackt auf dem Rasen und einem Mantel liegt, der ihn leicht bedeckt] würde wahrscheinlich auch ganz nackt gut sein, aber dadurch, dass er so verhüllt ist, hat das noch eine andere Ebene.

 

Es ist spannender.

Ja, es ist spannender. Und es hat mehr Humor. 

 

Ist Dir Humor wichtig bei Deinen Bildern?

Ja, schon. Also gerade wenn ich mir meine alten Bilder angucke, die sind so ein bisschen melancholisch und jetzt sind sie viel farbenfroher und viel lustiger, sexyer.

 
Jannik Schümann for L'Uomo Vogue | © Steven Kohlstock

Jannik Schümann for L'Uomo Vogue | © Steven Kohlstock

 

Gibt es eine bestimmte Aussage, die Du mit Deinen Bildern vermitteln möchtest?

Das Konzept der Ausstellung ist ja ‚Nudity and staging the body’ und auch eine zeitgenössische Sichtweise. Was ich zeigen will ist, es ist ein Spiel zwischen feminin und maskulin. Warum kann ein Mann nicht super hot sein, wenn er solche Boots anhat? Und das ist mir wichtig, dieses ganze Konzept von feminin und maskulin in Frage zu stellen und zu gucken, was das heutzutage noch bedeutet. Wie muss man Männer fotografieren im Akt, um sie überhaupt als Mann zu präsentieren? Und ich hoffe, dass das genau so rüberkommt und angenommen wird. Dass man sich das anguckt und denkt, ‚ah ja, warum eigentlich nicht?’

Man ist überrascht, wie Leute reagieren, wenn sie zum Beispiel sagen,‚das ist ja super gay’. Ich meine, was bedeutet das, super gay? 

Oder – Nadine [PR- und Kunst-Beraterin Nadine Dinter] hat das eine Bild von Sonia bei Facebook gepostet, es war eine Brust von einer Frau zu sehen, und das Bild wurde sofort gelöscht und Nadine wurde glaub ich zwei Wochen lang blockiert. Aber ausländerfeindliche Statements werden erst nach einer viel längeren Prüfung gelöscht.

 

Oder Gewalt, die ist auch total in Ordnung.

Gewalt ist völlig in Ordnung, aber der Nippel einer Frau, unmöglich. Und deswegen sind diese Sachen offensichtlich immer noch mega relevant. Das find ich echt überraschend.

 

Es herrscht noch immer ein sehr konservatives Denken.

Total! Die weibliche Brust oder den Penis zu zeigen ist eigentlich unmöglich auf einer normalen Plattform. Ich meine bei High Fashion, wie der Vogue, siehst du schon Brüste, aber in der Männer Vogue einen Penis zu zeigen, unmöglich. Independent Magazine sind ja heute super offen, wie Dust oder C.a.p. [c.a.p.74024], da ist es völlig normal, aber stell dir das mal vor bei der GQ, unmöglich (lacht).

 

Hast Du Designer oder Labels, mit denen Du besonders gerne zusammenarbeitest?

In Berlin das Label Fomme. Die musst du dir mal angucken, Sarah Effenberger ist die Designerin. Sie macht sehr androgyne Sachen, die wunderbar für beide Geschlechter funktionieren. Die letzten zwei Jahre hat sie auch im Vogue Salon gezeigt hat. Da wurde ihre Kollektion aber nur an Frauen gezeigt. Aber wenn du sie an Männern siehst, macht das etwas ganz anderes. Das ist meine Lieblingsdesignerin hier. Dann gibt es noch ein schönes Pendant dazu in Spanien, Palomo Spain [Das 2015 gegründete Label des 26-jährigen Alejandro Gómez Palomo erhielt viel Aufmerksamkeit, da Beyoncé eine Kreation von ihm auf dem berühmten Foto trägt, wo sie zum ersten Mal ihre Zwillinge präsentiert]. Auch sehr androgyne Sachen, sehr hochwertig. Aber natürlich arbeite ich auch sehr gerne mit High Fashion zusammen, wie in meinen letzten drei Shootings. Das macht natürlich auch Spaß (lacht).

 

Hast Du Fotografen, die Du als Vorbilder bezeichnest? Helmut Newton wahrscheinlich.

Helmut Newton auf jeden Fall. Es gibt immer wieder viele Strecken von verschiedenen Künstlern, die ich mag. Ein aktueller Künstler ist auf jeden Fall Alasdair McLellan, den mag ich total gerne. Der hat eine unwahrscheinliche Ruhe in seinen Bildern. Eigentlich sind die super einfach, aber wenn du die Bilder richtig verstehst, dann siehst du, dass er nur die krassesten Sachen in seinen Bildern hat, wie die berühmtesten, erfolgreichsten Models. Das sind ganz simple Bildaufbauten, aber das höchste Level, das man haben kann. Den liebe ich. Und dann Steven Meisel oder Steven Klein, das sind natürlich endlose Inspirationen. Oder Robert Mapplethorpe. Diane Arbus lieb ich natürlich auch.

 
Portrait von Steven Kohlstock | © Klaus Lange

Portrait von Steven Kohlstock | © Klaus Lange

 

Gibt es Dinge, die Du auf jeden Fall mal machen möchtest in Deiner Karriere?

Ich würde natürlich gerne für alle meine Lieblingsmagazine arbeiten. Und ich hätte natürlich auch gern eine Ausstellung, in der Helmut Newton Foundation oder so (lacht). Das sind natürlich noch Zukunftsträume. Es gibt ein Projekt in Südamerika, dass ich noch gerne umsetzen würde, was hoffentlich jetzt auch im Frühjahr passiert, aber da kann ich noch nicht so viel drüber sagen.

 

Welche sind Deine Lieblingsmagazine?

Da gibt es auch einige. Um ein paar zu nennen, Fantastic Man, Vogue Homme Paris und Essential Homme. Hier in Berlin sind es Dust, die find ich super und 032c. Ein guter Mix aus Independent und High Fashion.

 

Haben heterosexuelle Männer mehr Probleme mit Akt? [In Stevens Bildern für „Corpus Delicti“ sind ausschließlich homosexuelle Männer zu sehen]

Nein, also wenn eine Person generell kein Problem damit hat, dann ist das auch kein Problem. Ich hab auch viele, viele Heteros fotografiert, nackt oder halb nackt. Ich glaub, wenn du ein gutes Körpergefühl hast, dann ist das egal. Manche wollen das ja auch, so fotografiert werden.

 

Es ist ja auch schön, wenn man so ein gutes Körpergefühl hat.

Absolut. Ich bin viel konservativer aufgewachsen, so dass man nicht einfach nackt ins Wasser rennt. Ich hab das immer noch (lacht).

Mehr von Steven Kohlstock gibt es auf seiner Website www.stevenkohlstock.com, bei Facebook und bei Instagram.