Interview mit Simon Lohmeyer

Fotograf, Model, Blogger und Globetrotter Simon Lohmeyer zeigt in der aktuellen Ausstellung „Corpus Delicti“ in intimen Polaroids seinen sehr persönlichen Blick auf den nackten Körper.

Simon gehört zu den Menschen, die mit so viel Grundvertrauen und positiver Energie durchs Leben gehen, dass es sofort ansteckend wirkt. Die Freiheit, nur das zu tun, was er möchte und was sich für ihn richtig anfühlt, ist für Simon das wichtigste überhaupt. Seine Nudes schießt der 29-jährige Münchner daher auch vor allem für sich selbst, aus dem Moment heraus mit seinen Freundinnen und Freunden. So gelingt es ihm, in seinen Bildern eine intime Atmosphäre einzufangen und immer mit einer Prise Humor den Charakter der Person in den Fokus zu rücken. Wenn er gerade niemanden findet, fotografiert sich Simon, der mit 17 als Model entdeckt wurde, auch mal selbst.

Hauptberuflich arbeitet er als Brand Ambassador für GQ, für die er seit vier Jahren für den erfolgreichen Style Blog Supertramp verantwortlich ist. Dort kreiert er seine ganz eigenen Geschichten von seinen Reisen um die ganze Welt und kann wirklich genau das machen, worauf er Lust hat, wie er mir erzählt – von einer Fotostrecke der Menschen in Ghana über einen Besuch in das Haus von Louis Vuitton in Asniéres bis hin zu einem Portrait des Dandy, Autor und Philosoph Krisha Kops. Mittlerweile begleitet ihn dabei sein bester Freund Mario Voit, dem er das Fotografieren und Filmen beigebracht hat und der jetzt ein besserer Videographer ist als er selbst, wie Simon sagt.

Die von Nadine Dinter kuratierte Ausstellung „Corpus Delicti – Drei zeitgenössische Statements zur Aktfotografie und Körperinszenierung“ präsentiert neben den Bildern von Simon auch die von Steven Kohlstock, mit dem ich zuvor über die Darstellung von nackten Männern sprach sowie die Fotografien von Sonia Szóstak, die den weiblichen Körper mit einer weiblichen Sicht inszeniert, und die ich bereits zu ihrer ersten Ausstellung in Berlin traf.

Ich sprach mit Simon in der Galerie The Ballery über sein Talent, dass sich Leute gern vor ihm ausziehen, die Liebe in seinen Bildern und darüber sich selbst zu finden. Dabei teilt Simon in unserem Interview ganz nebenbei Lebensweisheiten, die denen von Bull Murray (den Simon auch schon mehrmals getroffen hat) in nichts nachstehen.

„Corpus Delicti“ ist noch bis zum 30. November in der Galerie The Ballery in der Nollendorfstr. 11-12 in Berlin-Schöneberg zu sehen. Die Finissage findet am 21. November um 19.30 Uhr statt.

 

Wie hat Dich das Modeln geprägt und wie fließt das heute in Deine Fotografie mit ein?

Modeln hat mir alles mitgebracht, um heute da zu stehen, wo ich stehe. Das war ein Riesenglück damals angesprochen zu werden. Es hat mich einfach um die Welt reisen lassen. Ich hab auf jedem Kontinent leben dürfen und konnte dort arbeiten und Freunde und Familie, sozusagen, finden und mich auch neu erfinden. 

Am Modeln hat mich aber immer gestört, dass ich nur ein Produkt der Fashion Industrie war, weil es nur um die Mode ging und nicht um den Charakter. Deswegen hab ich dann bei meinen Fotos auch alles weggelassen und die Leute einfach ganz nackt und ehrlich und mit ein bisschen Humor fotografiert, so dass wirklich die Person im Vordergrund steht. Mich stört ja schon eine Socke.

 

Gibt es eine bestimmte Message hinter Deinen Bildern?

Gerade in der Nacktfotografie hat mich einfach wahnsinnig viel auch genervt. Ich wollte das einfach von einem anderen Blickwinkel anpacken und bin das immer mit etwas Humor angegangen. Ich hab dann meine Freundinnen und Freunde in Situationen fotografiert, in denen wir einfach unterwegs auf Reisen waren. Wenn ich irgendwo eine schöne Location gesehen hab, wo ich mir dachte, „okay, hier hätte ich gerne ein Nacktfoto“, hab ich einfach gefragt, „hey, wärt ihr bereit euch hier und jetzt auszuziehen?“ und das hat dann auch immer geklappt. Ich hab in meinem Leben bis jetzt vielleicht zweimal ein Nein bekommen von tausenden Malen. Ich hab dieses komische Talent, dass sich Leute in meiner Gegenwart gern ausziehen (lacht). 

Ich hatte auch ein witziges Erlebnis – wo ich auch viele Bilder gemacht hab – das war in Mexiko. Es war die Hochzeit von Freunden und ab 3 Uhr nachts war ich der, der dann als Erster nackig in den Pool gesprungen ist. Und dann haben alle anderen Leute nachgezogen. Alle waren am Ende nackt auf dieser Hochzeit und bis 5 Uhr morgens sind wir dann da nackig rumgehüpft und ums Lagerfeuer getanzt und es war echt ein wunder-wunderschöner Tag.

 
Simon Lohmeyer himself | © Instagram Simon Lohmeyer

Simon Lohmeyer himself | © Instagram Simon Lohmeyer

 

Kommt die intime Atmosphäre bei Deinen Shootings auch dadurch, dass Du keine Stylisten und Hair & Make-up Artists um Dich herum hast?

Ja das nie, eigentlich bin das immer nur ich. Und auch, wenn ich jetzt gar keinen um mich herum hab, und eine Situation ausnutzen will, dann muss ich mich selber inszenieren und fotografieren. Haare und Make-up sind unnötig, weil ich will, dass sich die Leute wohlfühlen und wirklich so sind, wie sie sind. Also brauch ich sie auch nicht zu verändern. Es muss alles natürlich und auch aus einer ehrlichen Situation heraus entstehen.

 

Wie möchtest Du die Menschen in Deinen Bildern darstellen?

Also bei Frauen muss man schon schauen, dass da ein Shape da ist. Auch wenn jemand jetzt nicht perfekt gebaut ist, findet man immer einen Winkel oder ein Licht, um jemanden so darzustellen, dass er sich wohlfühlt. Ich will den Leuten ja auch ein Foto in die Hand geben, das ihnen gefällt, und dass sie veröffentlichen oder verwenden können.

Was ich auch merke bei jedem Fotoshoot ist, dass ich mich für den Tag, für die Session, tatsächlich auch immer ein Stück weit in den Charakter verliebe. Es gibt so viele Momente, wo ich denke, „oh Gott, da sieht dieser Mensch so unfassbar schön aus, das ist Ästhetik pur“ und diese Liebe versuche ich dann auch immer in die Bilder zu übersetzen, was mega schön ist. Man bekommt immer etwas raus, wo man denkt, „wow that’s the moment, das ist der Charakter, den ich so sehe und liebe“. Es hat eine wahnsinnige Ästhetik, wenn man diese Essenz des Charakters im Bild festhalten kann. 

Es hat eine wahnsinnige Ästhetik, wenn man die Essenz des Charakters im Bild festhalten kann.
— Simon Lohmeyer

Du fotografierst nicht nur Nudes. Was interessiert Dich sonst noch?

Damals, wo mir der erste Funke gesetzt wurde, dass ich Fotografie liebe und das mich das bewegt, war als ich in Kapstadt für einen anderen Fotografen assistiert hab. Wir haben in den Townships fotografiert und dort habe ich zum ersten Mal ein Foto von einem Obdachlosen gemacht. Das hat mich im Nachhinein so sehr bewegt, dass ich das Foto genommen habe und daraus ist dann all das danach entstanden. Auf der einen Seite gibt es die Nudes, aber was ich auch liebe sind dokumentarische Sachen, bei denen Leute involviert sind. Ich hab grad in Ghana eine große Geschichte fotografiert, analog mit Menschen. Das ganze Land trägt ja alles auf dem Kopf. Und das war wahnsinnig schön, durchs Land zu ziehen und alle Menschen, die mir über den Weg gelaufen sind und etwas auf dem Kopf getragen haben zu portraitieren und die fanden das auch interessant. Ich stand da mit meiner kleinen Kamera und hab am Ende 100 wundervolle Portraits mit nach Hause genommen. Es sind auch so kleine Serien, die ich liebe. Ich habe in Tokyo Automaten fotografiert, in Thailand kleine Gotteshäuschen, die sehen aus wie Vogelhäuser. In den Philippinen standen überall Basketballkörbe. In der Regenzeit standen die dann mitten in den Reisfeldern und wenn es trocken war, waren das Basketballplätze. In Amerika habe ich eine Architekturserie gemacht. Das ist ganz unterschiedlich. Für Supertramp gehört auch Fashion, Lifestyle, Kunst und Architektur mal dazu.

 

Welche Fotografen waren es, die Dich besonders fasziniert haben auch zu fotografieren?

Als ich damals in Kapstadt gelebt hab, hab ich eine Frau kennengelernt, Daniella Midenge, sie ist auch heute eine sehr gute Freundin von mir, die mich auch schon nackig fotografiert hat. Die Art und Weise, wie sie Nudes fotografiert hat und ihre Ästhetik haben mich wahnsinnig geprägt in dem, was ich heute mache. Wirklich eine ganz, ganz tolle Fotografin. Dann gibt es natürlich noch andere Namen wie Tim Walker oder David LaChapelle, Ellen von Unwerth, Annie Leibovitz oder mein Lieblingsfotograf, den ich gestern erst getroffen habe, Harry Gruyaert, die mich inspirieren und durch ihre Bücher auch meine Arbeit beeinflussen. Man nimmt sich bei Kunst ja immer seine Teile aus den verschiedensten Bereichen und puzzelt die dann zusammen für sein eigenes Bild. 

 

 
© Instagram Simon Lohmeyer

© Instagram Simon Lohmeyer

 

Welche Ziele hast Du noch?

Es gibt so viele Projekte, die noch auf meiner Liste stehen. Jetzt erstmal das Fotobuch, das rauskommt, das war einer meiner größten und längsten Träume. Dann arbeite ich gerade noch mit einer Illustratorin an einem Kinderbuch, ich mache gerade noch zwei Apps, die sehr witzig werden und ein anderes großes Kunstprojekt, das hattest Du ja off the record schon und nächstes Jahr mache ich eine Agentur auf für Social Media und Creative Content.

 

Was war der beste Rat, den Du je bekommen hast?

Es gab zu Hause viele Sachen, die sehr anstrengend waren. Ich bin dann mit 17 ausgezogen und wurde da auch fürs Modeln angesprochen und hab ab da schon mein eigenes Geld verdienen können. Seitdem hab ich immer nur wahnsinnig schöne Erfahrungen gesammelt. Was das Reisen angeht wurde ich nie enttäuscht oder wurde mir etwas Schlechtes angetan – und so hat sich so eine Selbstbewusstheit rauskristallisiert.

Mein Vater hat mir immer gesagt – das war so sein Leitsatz – „behandele jeden Menschen so, wie du selber gern behandelt werden möchtest“ und das hat gut funktioniert. Das noch zusammen mit einem Lächeln auf dem Gesicht und dir kann da draußen eigentlich nichts passieren. Mein Vater hat auch immer Mad-Eye Moody von Harry Potter zitiert „Immer wachsam, immer wachsam“. Also nicht, dass man Angst haben braucht, aber immer schön die Augen offen halten und ein bisschen das Surrounding scannen und schauen, wie man damit am besten interagiert. Ich glaube, das ist auch einer der besten Tipps, die man bekommen kann, wenn man draußen in der freien Welt unterwegs ist. Denn, es tut dir keiner was. Wir stehen alle auf dem gleichen Boden und kein Mensch will dir eigentlich etwas Böses. Außer es ist jetzt ein Maniac, ein verrückter Charakter, aber den kannst du auch in deiner Heimatstadt treffen, wenn du dein Haus verlässt. Das Grundvertrauen muss man sich aufbauen und dann kann man ohne Sorge, egal wo auf der Welt landen und man ist safe und happy unterwegs.

So lang man jung ist, bis mindestens 35, darf man auch noch nicht wirklich wissen, wo es mal hingehen soll, weil es sich auch ergibt – aber du musst halt wollen, dass du irgendwo hinkommst.
— Simon Lohmeyer

Das ist wahnsinnig schön, wenn das so fest in einem verankert ist.

Voll. Ich versuch das den Leuten auch immer so mitzugeben, die jetzt zum Beispiel Angst haben, ein Jahr lang nach der Schule eine Pause zu machen. Ich finde das ist eine der wichtigsten Sachen. Jeder sollte mal die Chance haben, ein Jahr lang Pause zu haben und vielleicht ein bisschen reisen zu gehen und irgendwo auf der Welt zu arbeiten, denn es gibt überall und immer Arbeit. Wenn man Lust hat und danach schaut, kann man überall ein bisschen Geld verdienen und auch leben. Als ich damals in New York gelebt hab, bin ich von da nach Australien gezogen mit meinem Koffer und ich wusste noch nicht einmal, wo ich lebe, ich kannte nichtmal die Währung und ich saß schon im Flieger nach Australien, dem Punkt der Erde, der am weitesten weg von Zuhause ist. Und bin dort gelandet und wurde dann von den Securities gefragt, wo ich denn wohne und ich so „I don’t know“. Ich war noch am Flughafen und die hat mir gesagt, „wahrscheinlich landest du in Bondi“. Ich hab dann auf Facebook ein bisschen geschrieben und dann hat mir eine Freundin zurückgeschrieben, dass sie gerade Housesitting macht in Bondi am Strand in Sydney und ich hab dann eine Woche bei ihr gewohnt und in der Zeit hab ich dann schon wieder meine eigene Bude gefunden und eine Agentur zum Modeln und dann hat das Leben auf einmal in Australien angefangen und es hat funktioniert. Man muss echt keine Angst haben. Man wird da draußen mit offenen Armen aufgenommen, wenn man respektvoll und mit einem Lächeln durch den Tag läuft.

 
Simons Story “Alles steht Kopf” für Supertramp | © Simon Lohmeyer

Simons Story “Alles steht Kopf” für Supertramp | © Simon Lohmeyer

 

Ich glaube, dass man das dann auch anzieht.

Auf jeden Fall. Man kriegt das 1000-mal zurück, das ist so abgefahren. Man muss auch in sich selber investieren, man darf das was man verdient auch in die Hand nehmen und für den nächsten Schritt benutzen. Und so lang man jung ist, bis mindestens 35 darf man auch noch nicht wirklich wissen, wo es mal hingehen soll, weil es sich auch ergibt – aber du musst halt wollen, dass du irgendwo hinkommst. Und dann am besten auch darüber reden oder kleine Hints ans Universum senden. Ich stell mir immer die nächste Situation vor, wie ich sie gerne hätte und dann war ich immer – ausnahmslos – überrascht, wie schnell das Universum mir genau den Gedanken in die Hand gedrückt und gesagt hat, „here you go“, und ich so „verdammt wie krass“, ich hab das gerade noch nichtmal ausgesprochen und jetzt steht die Situation schon vor mir. Da darf man echt drauf vertrauen. Man muss sich halt ganz genau finden und dann sagen, „da soll’s hingehen” und dann passiert das auch. Ich kann das mit 100%-iger Sicherheit jedem sagen, just go and know what you want and you gonna have it.

 

Ja, das Konzept von Visualization. Das Schwierige ist manchmal nur zu wissen, was man genau will.

Ja, das ist dieser Ja/Nein-Weg, von dem ich vorhin schon erzählt hab. Es kommen immer wieder Kreuzungen und man muss einfach immer wieder abwiegen zwischen Ja und Nein, geht es da lang oder da lang. Man braucht vielleicht mal etwas Zeit, um das zu beantworten, aber auch aus den Fehlern, die man gemacht hat lernt man, dass man mal den einen Ja-Weg gegangen ist, der nicht funktioniert hat. Das ist dann eine Erfahrung und ich finde jeder Fehler ist unfassbar wichtig. Am liebsten sollte man so viele Fehler machen wie möglich. Bevor ich mal als Familienvater da steh, will ich am liebsten schon die größten Fehler in meinem Leben gemacht haben, damit ich sie nicht nochmal machen muss. 

Wir hatten auch vorhin über Leute geredet, die ich schätze, wie Pablo Picasso oder Elon Musk. Das sind Leute, die schaffen so viel. Die wachen wahrscheinlich morgens auf mit einer Idee, und dann wird der erste Samen gepflanzt, aber dann musst du diesen – manchmal auch über Jahre – wässern und irgendwann trägt dann auch diese Pflanze ihre Früchte, das muss nicht von jetzt auf gleich sein. In vielen Schritten kommt man wahnsinnig weit. Man muss einfach dabei bleiben und es nicht vergessen. An manche Projekte hab ich vor Jahren das erste mal gedacht, aber jetzt ist erst die Möglichkeit da, weil ich den richtigen Menschen getroffen hab und das zum richtigen Zeitpunkt gesagt hab und man das dann zusammen umsetzt. Es gibt überhaupt keinen zeitlichen Stress.

 

Wie kommt es, dass Du so eine grundoptimistische Lebenseinstellung hast? War das schon immer so?

Ich hatte auch schwere Schicksalsschläge in meiner Familie. Meine kleine Schwester ist gestorben. Das war wirklich das Schlimmste, was mir hätte passieren können, dass dieses Leben einfach genommen wurde. Und danach wurde mir klar, dass ich das Leben wirklich nutzen will und das Beste daraus machen möchte. 

Ich sage auch sehr oft „nein“ zu Aufträgen. Philipp Plein kam zu mir oder Shell, aber ich kann das nicht machen, auch bei großen Zigarettenmarken. Du musst deine Antwort zunächst für dich selbst finden und dann kreierst du etwas Individuelles und Ehrliches. Sonst verlierst du dich auf deinem Weg. Ich meine, wo wirst du dann sein, wenn du alt bist? Dann musst du zurückblicken auf Dinge, auf die du nicht stolz bist. Das ist nicht das, was ich will. Ich will 80 Jahre alt sein, und sagen können „ich hab nur das gemacht, was ich wollte, und was für mich richtig war“. Auch wenn ich dann ein einsamer Fischer auf einer verlassenen Insel sein muss. Aber das ist mir dann egal.

 

Mehr von Simon Lohmeyer gibt es auf www.simonlohmeyer.com, bei Instagram und bei Facebook